Vegan Fine Dining – Sebastian Copien, Andreas Leib

Ich war gespannt. Sehr gespannt sogar, als ich die Menükarte für diesen besonderen Abend im Koch Kontor in der Hand hielt. Eine vegane Bouillabaisse? Ein Gericht mit so viel Historie, das traditionell auf Fisch basiert. Kann das wirklich funktionieren? Als ich dann bei der Buchpräsentation von Vegan Fine Dining im Koch Kontor stand und den ersten Löffel dieser pflanzlichen Interpretation des französischen Klassikers probierte, war klar, dass dies ein besonderer Abend wird. Diese intensive, vielschichtige Variante hatte alles, was eine Bouillabaisse ausmacht, nur eben ohne Fisch.

Geht das jetzt den ganzen Abend so weiter? Ja! Welch ein kraftvolles Menü, das an keiner Stelle Zweifel an veganer Küche lässt. Meine Erwartungen an das dazugehörige Kochbuch waren entsprechend hoch und wurden nicht enttäuscht.

Im neuesten Kochbuch von Sebastian Copien und Andreas Leib geht es nicht um schnelle Alltagsküche, sondern um höchste Küchenkunst pflanzlicher Küche. Fine Dining für zu Hause, für anspruchsvolle (Hobby-) Köche/Köchinnen. Das Buch ist keine reine Rezeptsammlung, sondern auch ein Lehrbuch. Locker geschrieben wird unheimlich viel Wissen vermittelt: Es gibt eine Anleitung, wie richtig abgeschmeckt wird („5 + 2“ Geschmäcker), wie der richtige Wein zum Gericht ausgewählt wird, die richtige Verwendung von Blüten im Essen und zahlreiche, überraschend ausführliche Gemüseporträts.

Die Rezeptvielfalt ist bemerkenswert. Wer sich durch das komplette Buch kocht, lernt unzählige Techniken und erweitert seinen/ihren kulinarischen Horizont erheblich. Dabei verzichten die Autoren weitgehend auf die in der Fine-Dining-Szene oft üblichen Texturgeber und Pülverchen. Stattdessen setzen sie auf eine kleine Auswahl: Vieles davon, wie Stärke, hat man ohnehin zu Hause. Für den Umami-Kick sorgen Miso, getrocknete Pilze, Sojasauce und Shio Koji, die alle einzeln vorgestellt werden.

Bei Rezepten, die aus mehreren Komponenten bestehen, kann es auch mal ein bis zwei Abende Vorbereitung benötigen, andere benötigen ein bis zwei Stunden intensive Küchenarbeit. Die Struktur ist dabei vorbildlich: Pfeile und Tagesmarkierungen mit Nummern führen durch mehrtägige Zubereitungen. Bei jedem Rezept ist klar gekennzeichnet, ob es sich für Haupt-, Zwischengang oder Dessert eignet. Mit etwas Erfahrung in der Küche ist dies alles zu schaffen.

Ein kleiner Vorgeschmack, welche der 48 Rezepte euch in Vegan Fine Dining erwarten:

  • Ajoblanco mit gedörrten Trauben, geräuchertem Mandelricotta und Chiliöl
  • Gebratener Pak Choi mit Gochujang-Orangen-Sauce, Sushireis und Radieschenkimchi
  • Agnolotti mit Sauerbratenragout und Preiselbeer-beurre-blanc
  • Tuna-Bete-Tatar mit Orangen-Tahini-Eis, Gomasio und Dillmayo
  • und natürlich DIE Bouillabaisse.

Bester Geschmack kommt von bester Produktqualität und diese gibt es, wenn man saisonal einkauft. Entsprechend ist das Buch in Frühling, Sommer, Herbst, Winter saisonal eingeteilt. Besonders praktisch sind die durchdachten Menüvorschläge, die von einfacheren 3-Gang-Menüs bis hin zu ambitionierten 6-Gang-Kompositionen reichen und zeigen, wie sich die einzelnen Gerichte harmonisch kombinieren lassen.

Die Foodfotografie von Hansi Heckmair zeigt verschiedene Details der professionellen Anrichtung und ist appetitanregend. Der Druck lässt manche Fotos etwas blass wirken, hier hätte ich mir mehr Farbintensität gewünscht.

Besonders praktisch sind die QR-Codes, die zu Plating-Videos für jedes Rezept führen. Das perfekte Anrichten wird hier Schritt für Schritt erklärt. Eine Vorschau, was euch dort erwartet, findet ihr in diesem YouTube Plating-Video.

Was mich besonders beeindruckt hat: Die Portionsangaben stimmen exakt. Ich kenne das von anderen Kochbüchern aus der Spitzengastronomie leider auch anders. Oft werden Restaurantrezepte einfach heruntergerechnet und die Rezepte oder Mengen hauen einfach nicht mehr hin. Hier nicht. Vier Portionen sind vier Portionen, die im Rahmen eines Menüs treffsicher satt machen.

Das Buch steckt voller Aha-Momente. Ich könnte endlos viel aufzählen und ich weiß jetzt schon, dass ich immer wieder zu dem Buch greifen werde.
Wusstet ihr, dass man aus den Schalen junger Erbsen einen intensiven Saft pressen kann? Oder, dass Bone China Porzellan tatsächlich Knochenmehl enthält und damit nicht vegan ist? Die Tipps von Sebastian und Andreas zu jedem Rezept sind wissenswert und oft sehr hilfreich. Die zusätzlichen Abwandlungsvorschläge bringen weitere Vielfalt in jedes Rezept.

Am Ende des Buches findet sich eine Sammlung von mehr als 40 Basisrezepten wie Dressings, Dips, Pasta oder Mayos. Diese sind auch für den Kochalltag eine echte Bereicherung.
Das Soßenkapitel verdient eine besondere Erwähnung. Richtig gute Soßen gelten als Königsdisziplin der Kochkunst, traditionell basieren sie auf Knochen oder Fischkarkassen. Die veganen Varianten hier sind schlichtweg verblüffend. Sie sind intensiv, aromatisch, vielschichtig. Bei der Verkostung im Koch Kontor konnte ich kaum glauben, dass diese Geschmackstiefe komplett ohne tierische Produkte erreicht wird. Zu Hause konnte ich vergleichbare Ergebnisse erzielen.

Eine gute Küchenausstattung ist hilfreich und für einige Rezepte notwendig: Equipment wie einen Sahnesiphon, Quetschflasche oder eine Microplane-Reibe sollten nicht fehlen. Die Zutaten lassen sich fast alle gut im Supermarkt finden, nur sehr selten muss man in den Feinkostladen oder online bestellen. Beides dürften bei gehobener Küche jedoch nicht überraschen.

Besonders wertvoll finde ich die konkreten Produktempfehlungen: In der veganen Welt gibt es nach wie vor riesige Qualitätsunterschiede, besonders bei Milch-, Sahne- und Butteralternativen. Für Kochsahne gibt es sogar ein eigenes Rezept, um eine noch bessere Qualität zu erreichen.

Kleiner Exkurs: Wer tiefer in die Welt der pflanzlichen Küche eintauchen möchte, dem sei übrigens Sebastian Copiens vegan-masterclass.de empfohlen. Hier finden sich über 30 Videokurse von verschiedenen Trainer:innen zu Themen wie veganer Küche, Eis, Ramen, alkoholfreie Speisebegleitung und natürlich auch Fine Dining.

Vegan Fine Dining ist das neue Standardwerk der gehobenen veganen Küche. Bücher wie dieses bringen die Kulinarik voran. Sie erweitern unseren Horizont, fordern uns heraus und überzeugen auch Fleischesser. Eine absolute Kaufempfehlung für alle ambitionierten Hobbyköche/-köchinnen und auch Profis.

Hier das gesamte Menü und weitere Fotos vom Abend der Kochbuchpräsentation:

  • Bouillabaisse mit Sauce Rouille
  • Rotkohlpüree mit Puntarelle und Zimtmandeln
  • Butter-Brioche mit Pastete
  • Gelbe Bete mit Kimchi-Cashew-Creme, Apfel-Schalotten-Vinaigrette und Bete Chips
  • Shrooms-Raviolo mit Jus und Sauercranberries
  • Baba-Brioche mit Kardamomcreme, Zitrussalat und eingelegten Fichtenzapfen